Urwald

Urwald © Erich Mayrhofer

Der Nationalpark Kalkalpen liegt im größten geschlossenen Waldgebiet der nördlichen Kalkalpen. Die Wälder verfügen über eine herausragend hohe Naturnähe, die weit über dem österreichischen Durchschnitt liegt. Besonders natürliche Wälder sind Urwälder, weil sie seit der Wiederbewaldung nach der letzten Eiszeit vom Menschen vollständig unberührt geblieben sind! Es gibt von ihnen in Österreich neben dem Rothwald im Wildnisgebiet Dürrenstein und dem Neuwald am Lahnsattel in Niederösterreich nur noch kleine Reste.

Urwald im Nationalpark Kalkalpen

Auch im Nationalpark Kalkalpen kommen solche Urwaldreste vor: Im Rahmen der Biotopkartierung wurden in unzugänglichen Lagen bisher acht Waldflächen entdeckt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Urwaldreste einzustufen sind. Es handelt sich überwiegend um Buchen- und Fichten-Tannen-Buchenwälder, kleinflächig auch um natürliche Fichtenwälder. Das Gesamtflächenausmaß der Urwaldreste umfasst etwas mehr als 37 Hektar, die kleinste Fläche ist nur wenig größer als zwei Hektar, die größte umfasst rund 14 Hektar. (Lenglachner & Schön 2008)

Durch die Außernutzungsstellung des Waldes im Nationalpark Kalkalpen wird dieser einem Urwald mit seinen mächtigen Baumriesen und Totholzreichtum im Laufe der Zeit immer mehr gleichen. Die „Geburt“ eines (sekundären) Urwaldes ist voll im Gange!

Bedeutung der Urwälder

Eine große wissenschaftliche Bedeutung haben Urwälder für die Erforschung von Kreisläufen, Lebensgemeinschaften und der Dynamik im Ökosystem Wald. Sie gelten als Referenzflächen für Naturnähe-Bewertungen im Wald. Aber auch der Forstwirtschaft kommt das Wissen über Urwälder zugute. Eine gründliche Kenntnis der natürlichen Lebensvorgänge im Wald ist die Grundlage einer nachhaltigen Forstwirtschaft. 

Unser Weg zur Waldwildnis

Hinter zerklüfteten Schluchten haben sich Urwälderreste in verborgenen Tälern gehalten. Heute sind sie Kernstücke ungeahnter Vielfalt, Gen-Reservoir und Rückgrat des Nationalparks Kalkalpen.

Vielfalt durch Alt- und Totholz

An Steilhängen, Graten sowie in Schluchten treten artenreiche Bergwald-Gesellschaften auf. Diese sind, gemeinsam mit einigen Urwaldresten, Motor einer ungeahnten biologischen Vielfalt geworden. In den schneereichen Wintern 2004/05 und 2005/06 weiteten sich die Lawinenbahnen enorm aus. An deren Rändern sowie  beim Lawinenkegel wurden Fichten durch  Luftdruck geknickt, ein massiver Borkenkäferbefall folgte.  

Damit konnte der ohnehin überhöhte Fichtenanteil reduziert und die Zerfallsphase einzelner Fichtenwälder eingeleitet werden.
Auch die Stürme Kyrill (2007), Emma und Paula (2008) setzten den Wäldern beträchtlich zu. In Abhängigkeit vom maximalen Lebensalter der Baumarten, vom Einfluss elementarer Prozesse und der natürlichen Sukzession entsteht eine mosaikhafte Verteilung unterschiedlicher Waldphasen. Das „Wald-Zyklus-Modell“ wird auf engem Raum nachvollziehbar. Die traditionelle Forstwirtschaft erntet Bäume in der Optimalphase und entnimmt sie dem Wald. Der  Nationalpark Kalkalpen gönnt den artenreichen Wäldern mit der Alters- und Zerfallsphase eine zweite Lebenshälfte. Davon profitieren nicht nur Pilze und Schwämme, sondern auch Käfer, Spechte, Fledermäuse und viele andere Arten. Mehr als ein Viertel der heimischen Tierarten benötigt stehendes und liegendes totes Holz von mindestens 30 Festmeter pro Hektar. 200-jährige Tannen beherbergen über 250 verschiedene Tierarten mit über 2.000 Individuen.

Neue Lebensräume durch natürlich Prozesse

Lawinenabgang von Hengstkar im Sengsengebirge © SieghartsleitnerStürme, Schneedruck, Lawinen, Hochwässer, Wildverbiss, Borkenkäferbefall - all diese Ereignisse verändern die Landschaft und die Lebensräume. Sie sind der Motor der dynamischen Entwicklung und bringen nach der "Zerstörung" unaufhaltsam neues Leben mit sich.  

Urwaldeinblicke©Nationalpark KalkalpenUrwald©Bart von Engeldorp GastelaardUrwald im Nationalpark Kalkalpen © Science Vision