Mehr Wildnis für Österreich

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  • Wissenschaftlicher Nachweis im Nationalpark Kalkalpen
  • Wildnis fördert die natürliche Vielfalt

Der weiteren Zerschneidung und Versiegelung wertvoller natürlicher Lebensräume soll Einhalt geboten werden. Auch der Artenschwund könnte gebremst werden, wenn in Österreich mehr Flächen innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, einer störungsfreien, natürlichen Entwicklung zugeführt werden. Im Nationalpark oberösterreichische Kalkalpen wird die Rückkehr der Wildnis dokumentiert und wissenschaftlich erforscht.

Anlässlich der Eröffnung der 3. internationalen Wildnistage vom 13.-15. September 2012 im Nationalpark Kalkalpen wurden die bisherigen Erfahrungen über die Bedeutung von Wildnis zusammengefasst.

Grundlagen

Ziel des größten österreichischen Wald-Nationalparks ist es, eine möglichst ungestörte Entwicklung der Natur zuzulassen. Seit 1994 wird daher keine planmäßige Holznutzung auf der 209 km² großen Nationalpark Fläche betrieben. 75 Prozent, das sind 156 km² sind als Wildnisbereich (non intervention management) ausgewiesen.

Spätestens nach dem Hochwasser 2002, einem Waldbrand 2003, den Stürmen Kyrill, Emma und Paula 2007/2008, der Massenvermehrung der Borkenkäfer in den Beständen mit überhöhten Fichtenanteilen 2009 bis 2011 sowie zahlreichen Lawinenabgängen, ist die zurückkehrende Wildnis als Leitziel des Nationalparks Kalkalpen zu erkennen. Im „Tagebuch der Wildnis“ wurden diese elementaren Ereignisse chronologisch dokumentiert (www.kalkalpen.at).

Vor dem Hintergrund zunehmender Landnutzung und Versiegelung, der Zerschneidung von Lebensräumen und dem Artenschwund gewinnen unberührte Lebensräume in Großschutzgebieten mehr und mehr an Bedeutung. Die dynamischen Prozesse in der Wildnis garantieren eine hohe Vielfalt an Lebensräumen und Arten, Wald in unterschiedlicher Entwicklung bis hin zur Alters- und Zerfallsphase. Damit kann eine intakte Nahrungskette von Totholzorganismen über Waldvögel bis hin zu den Beutegreifern wie Steinadlern oder Luchse aufgebaut werden.

Das Reichraminger Hintergebirge und Sengsengebirge zwischen den Flüssen Enns und Steyr ist historisch eng mit der Wildnis verknüpft. Vor 5.000 Jahren wurde der „Ennswald“ an wenigen Plätzen besiedelt. Bis ins 12. Jahrhundert nach Christus herrschte hier eine undurchdringliche Waldwildnis. Dann wurde die Landschaft über acht Jahrhunderte lang durch Bergbau und Eisenverarbeitung, Jagd, Forst- und Almwirtschaft geprägt. Urwaldreste, natürliche Bäche und Schluchtwälder blieb im verborgenen Berggebiet zwischen 385 und 1.963 Meter Seehöhe erhalten. Sie sind der Motor einer ungeahnten Vielfalt.

Indikatoren der Wildnisentwicklung

Totholz
Seit der Gründung des Nationalpark Kalkalpen im Jahr 1997 ist der Totholzanteil pro Hektar Waldfläche von 16 auf 32 Kubikmeter pro Hektar angewachsen.

Endemiten
Endemiten sind Tiere und Pflanzen, die nur ein beschränktes Gebiet besiedeln. 164 sind es in ganz Oberösterreich.

Tierarten: Ostalpenendemiten werden bei Käfern, Schmetterlingen, Schnecken (7-10 Arten), Hautflüglern und dergleichen mehr erwartet und die Fachbereiche befinden sich derzeit in Bearbeitung.

Pflanzenarten: Bisher konnten durch die Biotopkartierung 14 endemische Pflanzenarten der Nordostalpen festgestellt werden. Dies entspricht etwa der Hälfte aller 29 in den Nordostalpen vorkommenden Endemiten. Zu den Waldbewohnern gehören die Anemonen-Schmuckblume, die Österreich-Wolfsmilch und das Kerner-Lungenkraut.

Charakterarten in ausgewählten Lebensräumen

Als Charakterarten in ausgewählten Lebensräumen gelten Weißrückenspecht, Zwergschnäpper und Alpenbock. Die Artenvielfalt wird jedoch durch weitere Forschungsergebnisse eindrucksvoll unter Beweis gestellt:

  • 17 von 24 in Österreich lebenden Fledermausarten kommen vor,
  • 7 von 10 Spechtarten in Oberösterreich konnten im Nationalpark nachgewiesen werden,
  • Steinadler, Uhu und Schwarzstorch finden gute Nahrungsbedingungen,
  • Amphibien, Reptilien und Schalenwild finden hier gute Lebensbedingungen und
  • 1.560 Schmetterlingsarten konnten bisher nachgewiesen werden.

Forststraßen

Die Anzahl der Forststraßenkilometer hat sich von 1997 von 310 Kilometer auf nun mehr 170 Kilometer reduziert.

 

Borkenkäfer

Die Entwicklung des Borkenkäfers ist eng mit der Zunahme des Totholzes als wichtige Lebensgrundlage im Nationalpark verbunden. Während anfänglich der Borkenkäfer Anteil am jährlichen Totholz-Neubefall bei 53 Prozent lag, stieg er in den Jahren 2009 bis 2011 auf 65 Prozent an. Dies führte zu einer deutlichen Vermehrung des stehenden Totholzes, was sich über aus positiv auf die Artenvielfalt und Populationsdichten der Waldvögel im Nationalpark ausgewirkt hat.

 

 

Wert von Wildnis

Der Wert von Wildnis kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er reicht von der Lebensqualität für eine gesamte Region bis hin zur Wertschöpfung in der Nationalpark-Region durch die Sicherung von jährlich über 310 Arbeitsplätze. Alleinstellungsmerkmale de r Wildnis werden touristisch hervorgehoben und die Angebote der Ranger bilden einen vielfältigen Erlebniswert mit positiven Impulsen für Tourismus und Naherholung. Wildnis wird zur Marke für eine ganze Region, schafft Kreativität und wirkt sich überaus positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen aus.

 

Wildnistouren

Wildnisangebote und die Vermittlung spezifischer Inhalte sind Schwerpunkte einer vielfältigen Wildnispädagogik, wenn es gilt die Naturverbundenheit der Menschen zu stärken. Schutzgebiete fördern den persönlichen Zugang zur Wildnis und das „Wecken von Leidenschaft“ ist ein bedeutender Schlüssel. Emotionen, Sympathie und Wahrnehmung von Wildnis sind gefragt und durch Neugier, Spuren lesen und Landschaftsinterpretation wird Verbindung mit der Natur aufgenommen. Wildnis kann man nur spüren, in dem man sich ihr aussetzt!

 

Kräfte


Die vielfältigen Auswirkungen der Natur auf den menschlichen Geist und Körper sind am eindrucksvollsten im Bereich der „Naturheilkräfte“, Spiritualität und Regeneration zu spüren. Schon der Volksmund sagt „gegen jedes Wehwehchen ist ein Kraut gewachsen“ und spricht dabei die vielfältigen Heilkräfte der Natur an. Wildnis

findet aber auch seinen Niederschlag in der Namensgebung für Gegenden, Orte und Lokalitäten. Bärenriedlau, Bärenmauer oder Luchsboden sind Begriffe in denen vermutlich ein Zusammentreffen zwischen wilden Tieren und Menschen erfolgte mit historisch ungewissem Ausgang. Wildnis ist aber nicht nur ein gefahrenbergender, durch Baumleichen markant gezeichneter Raum, sondern widerspiegelt auch eine oftmals wilde natürliche Harmonie. Diese hat durch „darin wohlfühlen“ auch heilende Wirkung auf das Wohlbefinden der Menschen.

Wissen über Wildnis

Wissen über die Wildnis ist in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen, da über 98 Prozent unserer Landschaft als Kulturfläche genutzt werden. Wir wissen wenig über die ursprünglichen Wälder unserer Heimat. Schon die Definition von Wildnis, ihre Geschichte und die vielfältigen Auswirkungen auf die Biodiversität lassen wissenschaftlichen Werken und Forschungen breiten Raum. So ist es notwendig dieses Wildniswissen wieder zu gewinnen, um Verständnis für die Zusammenhänge in der ursprünglichen Form zu gewinnen.

Flächen-Management

Es notwendig, dass weitere Wildnisflächen  in Schutzgebieten bereit stehen, um Forschung zu betreiben und um die Entwicklung zu dokumentieren. Hier liegen Potenziale brach, die von der Sicherung genetischer Ressourcen, über biochemische Zusammenhänge bis zu den Wirkungen neuer Arten gehen. Ein geeignetes Management der Wildnis ist besonders in großflächigen Schutzgebieten erforderlich, da die Gesetzgebung das Wort Wildnis ignoriert. Daher sind rechtliche Voraussetzungen, wie Schutz der Wildnis  im Forstrecht und ökologischen Auswirkungen im Wasserrecht, Jagdrecht und in anderen Materiengesetzen zu berücksichtigen.

Mit 209 km², ist der Nationalpark Kalkalpen ist die letzte große Waldwildnis  in Österreich! Das beweisen wissenschaftliche Untersuchen und sensationelle Forschungsergebnisse. Erfreulich ist das große Interesse der Menschen, den sie bringen auch Wertschöpfung in die Nationalpark-Region.

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Primärwald © Erich Mayrhofer

Primärwald

© Erich Mayrhofer 
Nationalpark Kalkalpen

Hintergebirge © Erich Mayrhofer

Waldmeer im Reichraminger Hintergebirge 
© Erich Mayrhofer
Nationalpark Kalkalpen

 

13.09.2012