Wildnis, die Anarchistin

Jakob Frühmann, Park.Schein Stipendiat im Nationalpark Kalkalpen

Im Sommer 2014 entsandten Nationalparks Austria im Rahmen von park.schein fünf junge JournalistInnen und eine Fotografin in die Österreichischen Nationalparks. Jakob Frühmann war für zwei Wochen im WildnisCamp im Nationalpark Kalkalpen untergebracht. Seine Eindrücke und Gedanken zur Wildnis brachte er in nachstehendem Text zum Ausdruck.

 

Wildnis, die Anarchistin.
von Jakob Frühmann, BA, „park.schein“-Stipendiat im Nationalpark Kalkalpen

Ein urbaner Schreiberling ausgesetzt in der Wildnis. Zwei Wochen fernab von menschlicher Zivilisation. Umgeben von vermeintlich einsamer, schier endloser Natur. Wie lebt es sich also ohne menschliche Gesellschaft? Und, wie lebt sich Natur ohne Menschen? Wie lebe ich mich ohne Menschen?

Ich lasse eine überbordende Welt hinter mir und finde mich unbeschrieben in einer anderen wieder. Auf der Suche nach Inspiration inmitten von Almen, Wäldern, Gestein und Witterung erschließt sich mir in dieser wilden Natur eine beinahe mystische Dimension. In den wenigen Wochen fern von Uhren, Staub, Zivilisation, konfrontiert mit so viel Einsamkeit und der allgegenwärtigen Angst vor der Berührung mit der Unberührtheit, setze ich mich mit der Wildnis, dem Erfahren des Äußeren und Inneren auseinander. Bald wird mir klar, dass der menschliche Naturbegriff mittels einer von widernatürlichen Vorstellungen durchsetzten Ästhetik konstruiert wird; Natur wird nach ganz menschlichen – in Anbetracht biologischer Vielfalt abstruser – Kriterien bewertet. Wildnis als seit jeher gefürchtete Variable des Unbekannten, des Ungezähmten, der Unzivilisiertheit, der Unmenschlichkeit schlechthin schmeckte uns lange nicht. Aus Wildnis wurde eine neue Natur, von Menschen kultiviert. Wir zügelten, unterwarfen, beuteten aus. Und entfremdeten uns jeglichen Bezugs. Dennoch scheint der Schrei nach (vermeintlicher) Wildnis heute lauter denn je zu hallen: Into the Wild! Inmitten einer verstädterten und von Kulturlandschaften geprägten Umgebung gibt es Orte, Nationalparks, an denen die Natur wieder sich selbst überlassen wird, wieder vollends zum Subjekt wird.

Wildnis ist ein politisches und ideologisches Projekt. Sie kann auch als Metapher für menschliche Konflikte verstanden werden. Und während ich hier inmitten der Wildnis des Nationalparks sitze, beginnt sich in mir zaghaft ein Gedanke zu skizzieren: Wenn in der Natur Vielfalt und Selbstbestimmung vor allem abseits ökonomischer Interessen, blinder Befolgung schwerfälliger, verstaubter Gesetzeskompendien und traditioneller Engstirnigkeit ermöglicht werden, plädiere ich ebenso für mehr Wildnis in der menschlichen Kultur! Nicht alles muss sich einem Verwertungsimperativ, nicht alles einem Ordnungsdrang unterjochen. Dass unsere kapitalistische Wirtschaft tötet, wissen wir; Forderungen nach einer wahren Kultur, einer einzigen Natur des Menschen, hatten wir – und dulden wir, skandalöserweise, noch immer. Vor der unmenschlichen menschlichen Erfindung der Monokultur scheint der Mensch selbst keineswegs gefeit.

Wenn wir „natürlich“ sagen, meinen wir „künstlich“, so einst ein großer österreichischer Schriftsteller. Überhaupt entbehrt das „natürlich“ jeglicher Natur, wie eine Fassade kaschiert sie einen naturfernen Alltag. Entfremdet, geblendet werden wir, oberflächlich, nebensächlich ist jegliches Staunen, Stolpern, Schweigen, Schreien im Angesichte des ewigen Draußen. Nur in seltenen Augenblicken wagen wir diesen Schein zu durchbrechen und tauchen ein in die Gewalten, die Zärtlichkeit, die Unbeschreiblichkeit, die Unbeschriebenheit der Natur. Und gehen wir einen Schritt weiter, lassen die Natur selbst zu Wort kommen, lauschen dem Text, den sie uns predigt, tun sich neue Fragen auf, die sich uns als widersprechend gebären. Wie edel ist es, wild zu sein? Wie wohltuend, Unordnung zu betrachten? Wie beruhigend, Selbstbestimmung walten zu sehen? Wie gelassen können wir es lassen, uns nicht einzumischen? Wie menschlich ist es, Natur sein zu lassen? Brecht schrieb, die Widersprüche seien unsere Hoffnung.

Alle Beiträge der Stipendiaten nachzulesen im Nationalparks Austria Magazin Datei herunterladen: PDFnatur.belassen 11.2014

Jakob Frühmann war zwei Wochen fernab der Zivilisation im WildnisCamp untergebrachtJakob bekam Besuch vom Nationalpark Ranger und ÖBf Gebietsbetreuer Roman Paumann © Nationalpark Kalkalpen StücklerLatschen und Fels im Sengsengebire © Nationalpark Kalkalpen 

Jakob Frühmann am Nockplateau © Nationalpark Kalkalpen StücklerAm höchsten Punkt im Nationalpark Kalkalpen angekommen, Hoher Nock © StücklerJakob´s Großraumbüro © Nationalpark Kalkalpen Stückler

 

16.12.2014